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November 5, 2025

Bücher

Ben Becker liest Joseph Roth – ein absolut perfektes Match und ein Plädoyer für diesen großen Schriftsteller


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Bereits seit den 90er Jahren steht dieses inzwischen vergilbte Bändchen bei mir im Regal – DM 7,80 der Preis auf der Rückseite

Darüber hinaus war deutlich zu spüren, dass Becker den Autor wirklich verehrt, er gibt Roth eine große Bühne, zu Recht, wie ich finde, denn mein Eindruck ist, dass diesem großen Erzähler im aktuellen Literaturbetrieb eher selten Aufmerksamkeit verliehen wird. Mir begegnete Roth erstmals in meinem gefühlt endlosen Studium an der FU Berlin. Ich versuchte mich an seinem „Hiob“, die erste Hausarbeit, die ich auf einem eigenen Computer schrieb, stolz war ich, doch die Arbeit wurde nie fertig, ich verlor mich, wie so oft, in endlosen Recherchen und Lektüren. Allerdings traf ich so früh auf die Erzähl- und Lebenswelt des Joseph Roth, der 1894 im Städtchen Brody in Ostgalizien geboren wurde. Schon in meinem Beitrag über Mascha Kaléko erzählte ich davon, dass genau diese Herkunft aus dem ostjüdischen Schtetl von vielen der späteren Großstadtbewohner als eher unfein betrachtet und daher in der eigenen Geschichtsschreibung gerne ausgeklammert wurde. Vielleicht sind sich diese beiden ja im Romanischen Café begegnet, auszuschließen ist es nicht, in dem schön gestalteten Katalog über diesen besonderen Ort und die aktuelle Ausstellung im Europa-Center finden beide Schriftsteller Erwähnung.

An dieser Stelle sei nochmals auf die aktuell noch laufende und absolut sehenswerte
Ausstellung im Europa-Center Berlin verwiesen.
und hier geht’s zum Beitrag

Roth zieht es rasch in die Metropole nach Wien, wo er 1914 Germanistik und Philosophie – ohne Abschluss – studierte. Zeit seines Lebens wird er ein Anhänger des Habsburger Reichs und der Monarchie bleiben, politisch wiederum lässt er sich nicht festlegen, patriotisch aber ist er, im Ersten Weltkrieg meldet er sich 1916 freiwillig an die Front. Seine Karriere als Journalist und Schriftsteller beginnt nach dem Krieg in der Redaktion der Wiener Zeitung „Der Neue Tag“, die er in Berlin in den 20er Jahren fortsetzt. Seine sozialkritischen Reportagen erscheinen in diversen Zeitungen der Weimarer Republik – so z. B. in dem „Berliner Börsen-Courier“, der „Neuen Berliner Zeitung, dem „Vorwärts“ und später in der „Weltbühne“. Er schreibt in Berlin zahlreiche Artikel über das in der Großstadt beobachtete Schicksal der Kriegsversehrten, Arbeits- und Obdachlosen. Es ist die glorreiche Ära der Zeitungen und des Feuilletons, ca. 100 Tageszeitungen gibt es im Deutschen Reich in jener Epoche. Roth schrieb in Wien bereits ca. 100 Artikel im Jahr, dennoch wird das Leben in der Hauptstadt des Habsburger Reichs zu kostspielig, als die Zeitung „Der Neue Tag“ eingestellt wird, zieht Roth im Juni 1920 nach Berlin, er selbst meint dazu: „Die Inflation hat mich aus Wien vertrieben. Ich bin nach Berlin, wo es ‚etwas zu verdienen‘ gab.“ Er wohnt mit seiner Frau Friedl in der Potsdamer Straße 75, in einem Haus, in dem seit 2002 die gemütliche „Joseph Roth Diele“ zu finden ist.

In diesen Räumen befand sich in den 20er Jahren eine Konditorei, in der Roths erster Roman – „Das Spinnennetz“ – 1922 / 1923 entstanden sein soll, er erscheint zunächst als Fortsetzungsgeschichte in der „Wiener Arbeiter-Zeitung“. Die Wohnung in der Potsdamer war wiederum die einzige eigene Wohnung, die Roth jemals besaß, vorher wohnte er zur Untermiete, später wird er in zahlreichen Hotels und Pensionen – die im Exil immer schäbiger wurden – unterkommen. Eine gewisse Rastlosigkeit zeichnet sein Leben aus, hellsichtig wiederum reagiert er auf die Zeichen der Zeit, so ist eben jener in Berlin entstandene Roman „Das Spinnennetz“ eine Analyse des erstarkenden Nationalsozialismus.

Jan Koneffke lebt heute an Joseph Roths Wiener Adresse in der Rembrandtstraße 35, 2024 veröffentlicht er einen fiktiven Roman über Roths Zeit an diesem Ort.

1925 lebt Roth als Korrespondent der „Frankfurter Zeitung“ in Paris, das zu „seiner“ Stadt wird. Er pendelt zunächst noch zwischen Paris und Berlin, wird sich in Deutschland jedoch immer stärker der Gefahr bewusst, die von den dann neuen Machthabern ausgeht. Bereits 1933 geht Joseph Roth ins Exil nach Paris, er ist eine bekannte Persönlichkeit, denn mit der Veröffentlichung des Romans „Hiob“ im Jahr 1930 gelangte er zu literarischem Ruhm. Mit diesem Werk hatte ich mich ja mit Anfang zwanzig gleich einige Monate befasst, es behandelt ein Thema, das mich heute mehr als damals interessiert. Im Zentrum dieses neu interpretierten biblischen Stoffs steht der orthodoxe Jude Mendel Singer, der um 1900 aus einem osteuropäischen Schtetl in die USA emigriert. Hier wird er wie der alttestamentarische Hiob schwere Schicksalsschläge erleben, die ihn an seinem Glauben und dem Vertrauen in das Leben zweifeln lassen. Zentral ist aber sicherlich auch das Thema Heimatverlust, mit dem sich Roth in doppelter Hinsicht selbst gut auskennt. Der Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki bezeichnete ihn einst als „Ostjuden auf der Suche nach Heimat“, ein Sujet, das in seinem Werk immer wieder vorkommt.

Als er 1933 im Pariser Exil ankam, waren seine Romane „Hiob“ und „Radetzkymarsch“ – sein berühmter Text über den Zerfall der K&K-Monarchie, der 1932 im Verlag Kiepenheuer erschienen war – bereits ins Französische übersetzt, dennoch war es für ihn ausgesprochen schwierig, ein Leben in der Fremde zu finanzieren. Bereits in Berlin war bekannt, dass Alkohol aus dem Leben des Joseph Roth nicht wegzudenken war, 1938 wird er in Paris unter einer Zeichnung, die ihn an einem Bistro-Tisch mit Zigaretten und Gläsern zeigt, handschriftlich notieren:

Auf das Buch „Die Heilige des Trinkers“ von Lea Singer bin ich wiederum erst im Winter 2023 gestoßen. Hier begegnet man Andrea Manga Bell, die in den Jahren von 1929 bis 1936 mit Roth liiert war. Als Tochter eines Vaters mit afrikanischen und kubanischen Wurzeln erlebte auch Manga Bell in Deutschland massive rassistische Ausgrenzung, mit ihren beiden Kindern begleitet sie Roth 1933 ins Exil, von seiner Ehefrau Friedl war er zu jener Zeit bereits getrennt. Friedrike Roth war in einer psychiatrischen Klinik in Österreich untergebracht, bereits 1928 wurde bei Friedl Schizophrenie diagnostiziert. Eine psychische Zuschreibung, die damals ausgesprochen schnell getroffen wurde und im Nationalsozialismus einem Todesurteil gleichkam, so wurde auch Friedl Roth 1940 ein Opfer der NS-Euthanasie.

In beiden Büchern begegnen wir dem Joseph Roth der letzten Jahre – dazu sehr viel Alkohol

Joseph Roth lebte mit Manga Bell zunächst in einem Pariser Hotel, im Juli 1934 zogen sie jedoch in den Süden nach Nizza an die Promenade des Anglais, gemeinsam mit Heinrich Mann und Hermann Kesten gründeten Sie in einem Haus mit drei Etagen-Wohnungen eine „literarische WG“. Über diese schreibt Kesten in seinem Erinnerungsbuch „Meine Freunde, die Poeten“:

Aber die Abende wurden spätestens ab der Blauen Stunde auf dem Balkon des Hauses oder in den Cafés und Bistros ausgesprochen gesellig und mit sehr viel Wein verbracht. Acht Monate lebte und arbeitete Roth an der französischen Riviera, wie bereits in meinem Beitrag über die Exilanten in Sanary-sur-Mer erzählt, war diese Region Frankreichs für viele deutsche Künstler ein begehrter Zufluchtsort nach der Machtergreifung Hitlers im Januar 1933. Roth jedoch kehrte 1935 nach Paris zurück, im Sommer 1936 reiste er auf Einladung seines Freundes Stefan Zweig nach Ostende. Zweig war wie Thomas Mann einer der im Exil lebenden Autoren, die nur geringe finanzielle Einbußen erleben mussten, sie waren sog. international gelesene „Bestseller-Autoren von Rang“. Die Österreicher Zweig und Roth verbindet viele Jahre eine enge Freundschaft, in deren Fokus der intensive intellektuelle Austausch über die jeweilige literarische Produktion steht. In Volker Weidermanns Buch „Ostende“ erfahren wir mehr über jenen „(…) Sommer der Freundschaft“, so der Untertitel. Roths Tagesablauf ist inzwischen vor allem durch den Alkohol dominiert, Zweig versucht, ihn davon abzubringen, was ihm natürlich nicht gelingt, finanziell wird er ihn kontinuierlich bis zu dessen Tod unterstützen. In Ostende trifft Joseph Roth auf die ebenfalls im Exil lebende Irmgard Keun, mit der er trinkend die Tage in den Cafés am Meer verbringt. Eine kurze, aber leidenschaftliche Romanze mit der jungen Erfolgsautorin der Romane „Das kunstseidene Mädchen“ und „Gilgi“ beginnt. Immer wieder ist es schwer nachvollziehbar, dass Roths Anziehungskraft selbst in einem gesundheitlich schon stark angeschlagenen Zustand nicht zu verblassen scheint.

Zurück im Renaissance-Theater

Aber zurück ins Renaissance-Theater und zu Ben Becker und der „Legende vom heiligen Trinker“. Diese Geschichte über den Pariser Clochard Andreas, dem ein Wunder zuteil wird, bezeichnet Roth selbst als „mein Testament“, sie wird im Verlag Allert de Lange in Amsterdam posthum im Jahr 1939 erscheinen. Roth selbst erlebt kein Wunder, „Leben, Schreiben, Trinken“, so betitelt Silke Rotzoll ihren Beitrag auf Deutschlandfunk Kultur über die letzten Jahre des Schriftstellers. Der exzessive Alkoholkonsum forderte letztlich seinen Tribut, am 27. Mai 1939 stirbt Joseph Roth mittellos mit nur 45 Jahren in einem Pariser „Armenhospital“, immerhin musste er weder den Ausbruch des Zweiten Weltkriegs noch die deutsche Besetzung Frankreichs und damit den Verlust seiner Wahlheimat erleben. Sein Grab befindet sich in einem Pariser Außenbezirk nahe dem Flughafen Orly auf dem Cimetière de Thiais. Über seine Beerdigung erfährt man mehr in dem Buch „Die Heilige des Trinkers“, da auch Andrea Manga Bell ihrem einstigen Lebensgefährten die letzte Ehre erwies.

der Heimweg nach der Lesung – kaum zu glauben, Berlin im Schnee

Ich wiederum hoffe sehr, dass Ben Becker die Veranstaltung „Im Exil – Ben Becker liest Joseph Roth“ in sein ständiges Programm aufnehmen wird, selten habe ich eine so brillant performte Lesung erlebt, die mich wieder dazu gebracht hat, mich mit diesem zuweilen bereits vergessenen Autor zu befassen. Immerhin habe ich bereits Tickets für „T.C. Boyle featuring Ben Becker – No Way Home“ am 27. November 2025 in der Philharmonie, wenn auch ein komplett anderes Thema, so bin ich sicher, dass auch das ein Abend der ganz besonderen Art wird.

absolut hörenswerter Beitrag auf Deutschlandfunk Kultur

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