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Juni 5, 2025

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Vielleicht ja einfach mal nur aufs Meer schauen?


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Im Grunde müsste ich diesen Beitrag mit einer „Trigger-Warnung“ beginnen, denn Obacht: Hier wird es nicht wie bislang um Bücher, die Geschichten dahinter, die Autorinnen und die Zeit, in der sie lebten, gehen. Nein, es geht vor allem darum, wie es ist, wenn der absolut erwartete Lesefluss ins Stagnieren gerät. Was ist dann so los? Im Yoga würde die Frage im Raum stehen: „Was macht das mit Dir?“ Um die Antwort gleich vorwegzunehmen: Es macht mich so richtig kribbelig und lässt vor allem die Frage hochploppen: Was ist los mit mir? Und ich bin sicher, so manche Viel-Leserin ahnt, wovon ich spreche.

Da bin ich also wieder – in Bella Italia für einige Tage zwischen Christi Himmelfahrt und Pfingsten, recht spontan ging es auf die Insel, und noch spontaner sollte er sich am besten einstellen – der besondere Urlaubs-Flow, in dem auch die Page-Turner eine wichtige Rolle spielen. Die eine oder der andere wird es kennen, das „Leben in Bildern“, wie ich es gerne nenne. Wenn ich mich erst auf der Liege am Meer installiert habe, mein spannendes Urlaubsbuch schmökere, dann bin ich angekommen, dann geht es mir gut. Im besten Fall ist der Strand wenig bevölkert, die perfekte Liege mit Schirm steht bereit und die Beach-Bar ist in Sicht. Dazu sehe ich mich nach einem kleinen Frühstück den Laptop mit Aussicht aufs Meer und einem Kaffee neben mir aufklappen und geistreiche Texte in die Tasten hauen.

besser geht’s kaum – „eigentlich“ wie im Bilderbuch:
perfekte Schreib- und Lese-Lounge in Cefalù

Es mag eigenartig klingen, aber wenn ich mich in ein gerne auch viele Seiten umfassendes Buch vertiefen kann, dann fühle ich mich „behaust“, egal, wo ich gerade bin auf der Welt. Natürlich nehme ich auch alles um mich herum wahr, aber die Rückkehr in die im Buch entfaltete Geschichte besitzt ebenfalls einen großen Wert, um mich so richtig gut zu fühlen. Gerade jedoch spüre ich, dass mir diese Balance nicht gelingt. Das Ankommen an dem anderen Ort, das Entspannen, eine gewisse Leichtigkeit – geht das bei mir wirklich nur mit der Ergänzung durch den richtig guten Schmöker, ist erst dann das außerhalb Erlebte rund für mich? Stimmt erst dann das von mir vorab gezeichnete Bild der perfekten Auszeit? Reicht es nicht aus, einfach nur in einer schönen Umgebung zu sein, dabei auf Produktivität – schreibend oder auch anspruchsvolle Lektüre konsumierend – einmal zu verzichten? Viele Fragen, auf die ich womöglich gar keine hinreichenden Antworten finde in diesen Tagen. Aber mal sehen.

In meinem Beitrag, den ich genau an diesem Ort im vergangenen September schrieb, habe ich mich bereits mit dem Thema der perfekten Urlaubslektüre beschäftigt. Dieser Text nun wird keineswegs ein Da capo, es geht hier zwar auch um das eine oder andere Buch, allerdings auch um das Leben an sich, an den Umgang mit den selbst gemachten Erwartungen an die eigene – zugegeben verkopfte – Person, letztlich auch um das unmittelbare Einlassen auf den Moment. Ohne Wertung und ohne „Wenn-Dann“. Ich hatte mir vor dem Abflug noch rasch „Teddy“ auf den Kindle geladen, denn das Nur-Handgepäck ließ nicht allzu viele Kilos an bedruckten Seiten zu, lediglich zwei „richtige“ Bücher begleiten mich. Der Rowohlt-Verlag feiert „Teddy“ von Emily Dunlay als „das perfekte Sommerbuch“, spielt es doch weitgehend im Sommer 1969 in Rom.

Ein sehr ansprechendes Bild, das absolut zu „Teddy“ passt – but don’t judge a book by its cover

Was soll ich sagen? Ich las den Roman im Flieger, am Strand und im Bett, aber der Funke will nicht überspringen, obwohl vieles nahezu perfekt inszeniert scheint, beginnend bei dem mich ansprechenden Cover, das ein wenig an die Frauenfiguren von Edward Hopper erinnert. Teddy, die hübsche Gattin eines US-Botschafts-Mitarbeiters, ist die Titel-Heldin, die durch das Rom der 60er Jahre stromert. Mit Valentino-Kleid und silberner Paco-Rabanne-Tasche flittert sie durch Partys und Clubs, doch unter der glatten Oberfläche wird das Geschehen zu einer Art Agenten-Krimi im Kalten Krieg, in dem aber auch die Infragestellung der Rolle der Frau die zweite Hauptrolle spielt. Lob gab es von vielen Buch-Bloggerinnen für diesen Roman, ich wiederum habe nun auf Seite 330 erstmal pausiert, die Story und auch die Titelheldin packen mich nicht, etwas beliebig kommt mir der Text vor. Beim Lesen rutsche ich immer wieder ab in einen diffusen Unruhe-Modus, der darin gipfelt, dass ich mich in der Insta-Welt verliere und dabei ganz sicher nicht nur an literarischen Posts kleben bleibe. Aber wenn ich das richtig gute Buch finde, dann setzt wieder Ruhe ein, dann werde ich nicht noch nebenbei am Strand die Office-Mails checken und meiner Kollegin ungebetene Infos funken. Genau das denke ich, als ich „Teddy“ endgültig verwerfe – und schon geht’s wieder „junkie-mäßig“ los auf die Pirsch – dem Kindle sei Dank, allerdings habe ich noch ein Paperback im Köfferchen: Ulrich Wölk, „Mitsommertage“ – das könnte recht gut in die Szenerie passen.

Das Schöne ist auf jeden Fall, wieder in einem richtigen Buch zu blättern, statt in meinem Kindle zu swipen. Von Woelk hatte ich sehr begeistert den 2021 erschienenen Roman „Für ein Leben“ verschlungen, daher habe ich in einer meiner Lieblingsbuchhandlungen in Berlin, „Schleichers“ in Dahlem-Dorf, ohne lange zu überlegen, zu diesem Taschenbuch gegriffen. Erst auf Sizilien befasse ich mich näher mit dem Inhalt. In „Mittsommertage“ geht es um eine Berliner Philosophie-Professorin Mitte 50, die in den Ethik-Rat berufen wird. Joggend am Lietzensee beginnt die Story, ein Hundebiss gleich am Romananfang, dann gelangt man in den Hörsaal der Humboldt Uni – und sehr schnell wird mir klar, dahin möchte ich mich gerade nicht entführen lassen, zudem scheint das Thema Corona & Ethik-Rat in gewisser Weise doch weit weg. Zum Glück. Ich lege das Taschenbuch also wieder beiseite und gehe erst mal frühstücken. Vielleicht ist es wirklich an der Zeit, eine Pause von Texten jedweder Art einzulegen und den Blick auf andere Art und Weise zu erweitern? Anzukommen, in die Ferne und nicht aufs Papier zu schauen? Wobei ich das eine nie als das Ausschlusskriterium für das andere empfunden habe. Trotzdem fühlt sich diese „Buch-Odyssee“ auch an wie das Drücken auf die Pause-Taste. Wieder bin ich beim Yoga, das ich aktuell eher im Kopf mache, denn hier gibt es den Begriff des „monkey mind“, Gedanken, die von Ast zu Ast springen und uns nicht zur Ruhe kommen lassen. Das kenne ich allzu gut, zu Hause, aber auch in der Ferne. Die Literatur ist wahrscheinlich oft wie eine Art Anker, um mich zu erden, klingt etwas verschwurbelt, aber so kommt es mir vor. Die einen atmen tief in den Bauch, die anderen lesen … ich gehöre wohl zur zweiten Gruppe.

Breakfast with view, zwar an einem anderen Urlaubstag, aber dennoch war’s großartig

Und dann nach ein paar Tagen wurde ich fündig, über Umwege, die Journalistin und Autorin Suse Kaloff, deren sonntägliche Kolumne „Suse in your pocket“ ich bei Substack abonniert habe, schrieb am ersten Juni „Hydra in my heart. Bleib‘ einfach hier.“ – und traf damit bei mir ins Schwarze. Schon immer bin ich ein Fan von griechischen Inseln außerhalb der Saison. Hydra ist bislang noch ein weißer Fleck für mich – und gleichzeitig auch wieder nicht, denn es ist eine Insel, die – ähnlich wie einst Ibiza – in den 60er Jahren der Hot-Spot von Aussteigern, Schriftstellern und Malern war. Bekannt wurde Hydra auch durch Leonard Cohen, der hier mit seiner Marianne lebte, erst vor Kurzem habe ich in der ARD-Mediathek die Mini-Serie „So Long, Marianne“ inhaliert und mir vorgenommen, unbedingt einmal diese Insel selbst zu bereisen. Mit der Fähre ab Piräus nähert man sich, da es zum Glück keinen Flughafen auf Hydra gibt. Suse Kaloffs Liebe zu dieser Insel spricht aus jeder ihrer Zeilen und steckt an. Ich wollte mehr davon, nachdem ich ihren Text am Sonntag gelesen hatte, und googelte nach Romanen, die dort spielen, oder auch nach einer Biografie über die Schriftstellerin Charmian Clift, die auf Hydra in den 60er Jahren eine zentrale Figur war. Letztlich fand ich es: das Inselbuch, das auch in Italien „funktioniert“. Titel: „Sommer der Träumer“, auf Englisch „Theatre for Dreamers“, 2020 in London gleich zu Beginn der Pandemie erschienen. Wie immer, wenn ein Titel doch sehr kitschig klingt, bin ich neugierig, ob ein so überschriebenes „Werk“ in irgendeiner Form bei der Kritik Beachtung findet, und siehe da, der Guardian hat den Roman gefeiert: „this blissful novel of escapism is also a powerful meditation on art and sexuality“. Eskapismus und Meditation – besser geht’s doch gerade gar nicht. Und wieder denke ich, wie absurd, den Segen eines Mediums zu brauchen – auch die Sunday Times war voll des Lobs – und nicht ganz einfach nur mir zu vertrauen. Das zu machen und zu lesen, wonach mir ganz einfach ist. 

Schnell bin ich auf Seite 200 angekommen und genieße die locker plätschernde Erzählung aus der Perspektive der 18jährigen Londonerin Erica, deren verstorbene Mutter ihr tausend Pfund hinterlassen hat. Ihr Bruder Bobby wiederum erbt ein Cabrio, in dem die beiden die Mutter nie gesehen haben. Mit diesem und Ericas Freund Jimmy machen sich die Geschwister auf den Weg nach Hydra, denn dort lebt die Schriftstellerin und Aussteigerin Charmian Clift, frühere Nachbarin und Freundin der Mutter. Die Verknüpfung von fiktiven Figuren und realen Bohemians – auch Leonard Cohen und Marianne kommen dahin vor – macht den Reiz der Lektüre aus. Es geht um Kreativität und Blockaden, „Coming of Age“, vermeintliche Freiheit versus althergebrachter Geschlechterrollen, Sex und Eifersucht – und allen Voran auch um Sommer und Hydra.

Es gibt Bücher, die bereichern, machen schlau, geben eine neue Perspektive auf die Dinge, dann aber gibt es Romane, die einfach Spaß machen, einen in die beschriebene Welt abtauchen oder auch in einen Sog geraten lassen, und das trifft wohl am ehesten das Gefühl, das dieses Buch bei mir hinterlässt. Ich drifte weder ins Handy ab noch passiert das „Mal-eben-die-Mails-Checken“. Zwischen den Seiten schaue ich aufs Meer – kein Witz. Und sollte es so etwas wie ein Zwischen-Fazit auf meine Eingangsfragen geben, dann wäre es wohl diese: Ja, es ist bei mir ganz einfach so:

Inzwischen habe ich den Roman ausgelesen, er macht Lust darauf, mehr über die für mich spannendste Figur der Story, nämlich Charmian Clift, zu erfahren. Die Australierin lebte mit ihrem Ehemann George Johnston, ehemaliger Kriegsberichterstatter und Schriftsteller, sogar Bestseller-Autor, und ihren drei Kindern seit Mitte der 50er Jahre tatsächlich auf der Insel, sie waren die ersten „Ausländer“, die sich auf der Insel niederließen. Heute würde man sagen, sie verband eine „toxische Beziehung“, aber vor allem ist es die Diskrepanz zwischen dem Charisma, das sie ausstrahlt als Frau und Schriftstellerin – sie scheint das Zentrum des Aussteiger-Zirkels zu sein -, und der Rolle, die sie als Hausfrau und Mutter sowie Muse ihres Mannes einnimmt. Charmian hadert mit diesem Spagat, Beauvoirs „Das andere Geschlecht“ gibt sie der jungen Erica zu lesen, zweifelt an ihrem Leben mit George, ist hingerissen von Hydra, beschreibt aber auch die Erschwernisse des Alltags auf der Insel als Managerin der Familie. Ich lade mir eine Leseprobe ihres eigenen auf Hydra entstandenen Romans „Peel me a Lotus“ auf den Kindle, bin auch neugierig auf die Biografie von Nadia Wheatley „The Life and Myth of Charmian Clift“. Und so ist es dann also wieder einmal passiert, dass ein zunächst vor allem unterhaltsames Buch eine Recherche-Reise in einen neuen kleinen Kosmos eröffnet.

Reist wieder mit nach Hause: „Peggy“ von Rebecca Godfrey mit Leslie Jamison

Und in diese Welt der Charmian Clift werde ich mich nun wahrscheinlich weiter vertiefen an meinen letzten Insel-Tagen, auch wenn ich noch ein sehr vielversprechendes Hardcover aus dem Koffer ziehen könnte: „Peggy“ von Rebecca Godfrey mit Leslie Jamison. Eine fiktive Biografie über die Kunstsammlerin Peggy Guggenheim, über die ich gerade im Kontext des Surrealismus schon einiges gelesen habe, auch ihren Palazzo in Venedig habe ich einst besucht. Ein großes und spannendes Thema, das ich mir in seiner Komplexität für zu Hause und einen eigenen Blog-Beitrag aufheben werde. Wenn es hier auf der Insel noch einen „deep dive“ geben wird, dann ist es nur im Mittelmeer, denn diese sich dann in meiner speziellen Mixtur eingestellte Leichtigkeit der letzten Tage möchte ich nicht mehr unterbrechen. Manchmal ist dann weniger Anspruchsvolles ganz einfach mehr, sicherlich keine bahnbrechende Weisheit, aber mein kleines Insel-Fazit. Erwartungen kann man auch mal über den Haufen werfen, gerade auch jene, die man an sich selbst hat. Einen möglichst leichten Sommer mit vielen weiten Blicken aufs Meer, aber auch den dazu passenden Büchern – das wünsche ich Euch allen in diesen wilden Zeiten!

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